07.11.2022: Motive radikalen Gewalthandelns - Was dahinter steckt und wie wir in der Praxis damit umgehen

07.11.2022, von 09.00 Uhr bis 14.00 Uhr in der Medical School Berlin, Rüdesheimer Str. 50, Raum 1.3


 

Laut Bundeskriminalamt (2021) erreichte die Bundesrepublik die niedrigste Hellziffer an begangenen Straftaten seit 1992, dennoch herrscht in der Gesellschaft eine unterschwellige Angst, Opfer einer Straftat zu werden. Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (2021) die sich mit dem Sicherheitsgefühl von Menschen in Deutschland auseinandersetzte, stellt heraus, dass sich mehr als ein Drittel der Befragten abends und nachts auf öffentlichen Plätzen (sehr) unsicher fühlen. 62 % der Befragten gehen sogar von einer Zunahme der Kriminalität in Deutschland aus, was nicht zuletzt mit der medialen Berichterstattung zu tun hat. Angst vor politischem Extremismus haben etwa 35 % der Befragten einer Studie die von der R+V Versicherung (2022) in Auftrag gegeben wurde.

 

Was jedoch hinter einer begangenen (Gewalt-)Straftat steht, wissen die wenigsten. Warum handeln Menschen eigentlich gewalttätig? Dies ist bei weitem nicht willkürlich, wenn wir genauer Hinsehen, lassen sich drei unterschiedliche Tatmotive bei Gewaltstraftaten erkennen. So können drei Jugendliche ein sehr ähnliches Verbrechen begehen, beispielsweise eine schwere Körperverletzung und sich dennoch in ihren Absichten deutlich voneinander unterscheiden. Interessant ist es auch, einen Blick auf radikales Gewalthandeln und dessen Motive zu werfen.

 

Gemeinsam mit Prof. Dr. Rebecca Friedmann möchten wir in diesem Workshop einen Blick auf männliches Gewalthandeln werfen. Der Workshop bietet einen praxisrelevanten Überblick über die verschiedenen Gewaltmotive und bezieht die Motive der Mitglieder radikaler, bzw. extremistischer Gruppen mit ein. Nach einem theoretischen Input zu Gewaltmotiven, werden wir in der Gruppe erarbeiten, inwieweit sich die vorgestellte diagnostische Einschätzung gewalttätigen Handelns in Ihre praktische Arbeit implementieren lässt. 

 

Wir laden Sie herzlich dazu ein mit uns über die unterschiedlichen Motive gewalttätigen Handelns zu diskutieren und Ihre Erfahrungen aus der Praxis mit in den Workshop einfließen zu lassen.


Prof. Dr. Rebecca Friedmann

ist Geschäftsführerin der Denkzeit-Gesellschaft e. V. und seit 2017 Professorin für "Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit" an der Medical School Berlin 

 

Schwerpunkte:

  • Delinquenzprävention
  • Pädagogische Interaktionsdiagnostik
  • Psychosoziale Entwicklung
  • Trauma und Traumapädagogik
  • Entwicklung pädagogischer Programme zur Förderung psychosozialer Kompetenzen

kurzzusammenfassung des workshops

In der internationalen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind zwei Motive gewalttätigen Handelns umfassend beschrieben – das affektive und das instrumentelle Motiv. Während überwiegend affektiv motivierte Personen gewaltsam auf beispielsweise Kränkungen oder Provokationen reagieren, weil die entstehende Wut ungesteuert agiert wird, unterscheidet sich die Motivlage instrumentell motivierter Personen durch das Fehlen starker Affekte und ist gekennzeichnet durch ein planvolles, kalkuliertes Handeln im Sinne des eigenen Vorteils. Betrachtet man das affektive Gewaltmotiv näher, lässt es sich in zwei weitere Motive differenzieren, dem reaktiven und dem intrinsischen Motiv. Bezogen auf Radikalisierungsprozesse ist naheliegend, dass sich überwiegend intrinsisch motivierte Täter:innen besonders von radikalen Gruppierungen angezogen fühlen, da diese vor allem auf der Suche nach innerpsychischer Entlastung sind. Psychische und interpersonelle Schwierigkeiten werden durch den Anschluss an eine dieser Gruppen zunächst reduziert, indem beispielsweise Feindprojektionen und Gewaltlegitimationen angeboten werden. Darüber können, kollektiv gestützt, individuelle innere Spannungen kurzfristig gemildert werden.

 

In Kürze lassen sich folgende Implikationen für die Praxis zusammenfassen:

  • Gewaltmotive unterscheiden sich in vielen Punkten, die u. a. Trauma, Neurobiologie, Affektentwicklung, Beziehungsgestaltung und Moralentwicklung umfassen. Es gibt daher keine eindimensionalen Erklärungen für (demokratie- oder menschenfeindliches) Gewalthandeln.

  • Zum Zeitpunkt der Tat werden unterschiedliche Ziele verfolgt: Wird reaktiv eine Provokation durch Aggression abgewehrt? Dient die Tat der egozentrischen Bereicherung oder zur Erhöhung des Erregungsniveaus? Oder handelt es sich um die Abwehr innerer, unerträglicher Dialoge?

  • Je nach zugrundeliegender psychosozialer Struktur unterscheiden sich Lernziele und Interventionen. Diese müssen passgenau und entwicklungsförderlich sein. Diese Erkenntnisse könnten recht unkompliziert in bestehende Programme aufgenommen werden.

 

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Ergebnisse des Workshops zu Gewaltmotiven zum Download
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